Ich habe keine Worte dafür, was Karen Köhler mit mir macht, wenn sie schreibt.

In umgekehrter Reihenfolge der Veröffentlichung habe ich nun nach ihrem Roman Miroloi auch ihren Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ gelesen und meine Begeisterung kennt keine Grenzen.


Karen Köhler beschreibt in neun Texten Ausschnitte aus Menschenleben – ihnen gemein: Sie alle erleben etwas, das ihr Leben verändert und sie zwingt, alles umzudenken, „sich mit Fantasie dem Leben entgegen“ zu stellen (Zitat: Klappentext).
Meistens ist das, was geschieht etwas, das man niemandem wünscht, was das Leben aber manchmal einfach trotzdem macht.
Das Leben ist nicht fair. Auch nicht zu den Protagonist*innen, aber sie zerbrechen nicht daran.

In Il Comandante trifft die Ich-Erzählerin, die sich in einem Krankenhaus einer Krebsbehandlung unterzieht, auf einen Herrn älteren Semesters, der jeden Tag am gleichen Platz im Restaurant sitzt. Sie freunden sich an, sprechen über Ängste und Beziehungen, machen sich schick und essen vor allem Bananen Split.

Cowboy und Indianer erzählt von einer jungen Frau, die mitten in der Wüste um Las Vegas ausgeraubt am Straßenrand zurück gelassen wird. Als sie bereits vollkommen dehydriert ist, wird sie von einem Mann mit indianischen Wurzeln gefunden. Er nimmt sie unter seine Fittiche und die beiden erleben einen ganz speziellen Roadtrip.
Ich hasse Roadmovies und finde Roadtrip-Geschichten in der Regel ziemlich doof, weil meistens oberflächlich und stumpf. Diese war großartig und hat mich unheimlich berührt.
Oh und ganz wichtig: METALLICA kommen vor. Ich habe beim Lesen mitgesungen. Es war toll!

In Polarkreis lesen wir Briefe und Postkarten von Polar an einen unbekannten Empfänger. Polar hat sich aus dem Staub gemacht und befindet sich auf einem Selbstfindungstrip durch Italien, der in einem kleinen Dorf auf Sizilien endet. Und zwar wunderschön.

Name. Tier. Beruf. erzählt von einer jungen Frau und ihrer Jugend auf dem Dorf. Unverhofft bekommt sie nach vielen Jahren Besuch von ihrer ersten Liebe – einem Mann, der mittlerweile in der Großstadt lebt. Die beiden verbindet mehr als ein traumatisches Erlebnis. Aber trennen tut sie viel mehr.

Die Titelgebende Erzählung Wir haben Raketen geangelt wäre, wenn man mich fragen würde und ich mich entscheiden müsste, wahrscheinlich mein Favorit. Krassiwaja schreibt an Libero. Sie schreibt Erinnerungen an ihre innige Beziehung, Momentaufnahmen daraus, Dinge, die sie verbinden. Und dann zerreißt sie dir das Herz.

Familienportraits zeigt genau das: Porträts. Situationen. Schnappschüsse. Alltägliche und dennoch außergwöhnliche Familienmomente. Völlig normal und gleichzeitig unerhört.

Starcode Red ist die Geschichte einer Frau, die auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet, um nicht zu Hause zu sein.

Wild ist scheu erinnerte mich ein bisschen an eine Mischung aus Kafkas Hungerkünstler und Into the Wild. Das meine ich durch und durch positiv. Eine Frau geht in den Wald und bezieht einen Hochsitz. Allein. Ohne Essen. Ohne Kontakt zu irgendwem. Und schreibt Tagebuch.

Die Geschichte von Findling taucht ganz versteckt schon früher im Buch auf. Daher möchte ich nicht allzu viel hierzu schreiben, denn ich fand diesen Moment des „Wiedererkennens“ irgendwie ganz besonders toll.
Nur so viel: Auch hier begegnet uns eine Frau ganz und gar alleine, aber nicht einsam.


Jede einzelne dieser Erzählungen hat mich sehr bewegt.
Jede einzelne dieser Erzählungen hat mir Tränen in die Augen und Gänsehaut auf die Arme gejagt.
Ich kann nur wieder und immer wieder Karen Köhlers wundervolle Sprache hervorheben, die mit so einfachen Mitteln so unglaublich poetisch ist.


Liebe @niagara_kate,
DANKE! Du hast mich in diesem Jahr schon zum zweiten Mal berührt, gefesselt, abgeholt, durchgeschüttelt und -gerüttelt, gekaut und ausgespuckt und es dabei gleichzeitig geschafft, dass es mir danach großartig ging!


Zwei Jahreshighlights.
2019 ist mein literarisches Karen-Köhler-Jahr!
Ganz große Liebe. ❤

„Ein Futur Zwei schiebt sich durch mich. Ich werde tapfer gewesen sein. Ich weiß, dass meine Vergangenheit größer als meine Zukunft ist.“
S. 150.