Mit Vicky, der tollen Person hinter @lesestress , habe ich mich an dieses Schätzchen gewagt und ich nehme vorweg:
Ich weiß jetzt schon, dass ich hier ein Jahreshighlight rezensiere.

Die argentinische Autorin Agustina Bazterrica beschreibt in Wie die Schweine (aus dem Spanischen von Matthias Strobel) eine Welt, in der ein Virus es der Menschheit unmöglich macht, Tiere zu essen.
Anstatt halt einfach darauf zu verzichten, kommt man aber auf die äußerst kluge Idee, statt Tieren eben andere Menschen zu verspeisen. Diese werden in Mastbetrieben gezüchtet, in Schlachthäusern geschlachtet, in Labors zu Versuchszwecken missbraucht und auch sonst ohne jegliche Würde behandelt. Natürlich sind sie keine „Menschen“, sondern „Stücke“, deren Stimmbänder entfernt und die gebrandmarkt werden, denn offensichtlich will niemand andere Menschen essen. Praktisch also, dass man diese „Stücke“ so offensichtlich von den „echten Menschen“ unterscheiden kann.
Der Protagonist Marcos ist Produktionsleiter in einem dieser Schlachthöfe und er beginnt, sein Tun zu hinterfragen. Besonders kompliziert wird es jedoch, als ein Geschäftspartner ihm ein „Weibchen“ schenkt…

Dieses Buch hat mir viel abverlangt. Natürlich ist es nicht schön, all das zu lesen. Ein Buch braucht aber keine Schönheit, um großartig zu sein. Wie die Schweine tut etwas, was es mit Romanen wie George Orwells 1984 oder Margaret Atwoods Der Report der Magd vergleichbar macht:
Es hält einer Gesellschaft auf die denkbar unschönste Weise den Spiegel vor, legt einen Filter über unsere Welt und beschreibt sie dann und irgendwann erkennt man, dass dieser Filter genau genommen nicht existiert, dass das, was da in diesem Buch passiert, eben unsere Welt ist – in der lediglich ein minimaler, scheinbar unbedeutender Aspekt abgewandelt wurde.

Nein, dieses Buch ist keine Moralkeule gegen das Essen von Fleisch. Es ist eine Nachdenkkeule, die einen Strukturen des eigenen Denkens hinterfragen lässt, es regt dazu an, Dinge, die wir als gesellschaftliche Norm kennen, in Frage zu stellen. Es zeigt auf geniale Weise, wie willkürlich, wie zufällig Gedankenstrukturen wie liebens- und lebenswertes Leben, sozialer Stand und Rasse sind.

Margaret Atwood sagte mal über Der Report der Magd, das Erschreckende daran sei, dass sie nichts beschrieben habe, was es nicht schon irgendwann einmal auf dieser Welt gegeben habe. Das Erschreckende an Wie die Schweine ist, dass all das gerade in diesem Moment überall auf der Welt passiert, nicht nur billigend hingenommen, sondern allgemein erwünscht – mit dem einen kleinen und feinen Unterschied, dass die Leidtragenden nichtmenschliche Lebewesen sind.


Ich halte diesen Roman für einen der wichtigsten, die mir in der letzten Zeit untergekommen sind. Nicht weil ich euch allen das Schnitzel nicht gönne, sondern weil jede*r einzelne sich fragen muss, ob er/sie dieses Schnitzel, das unter diesen Bedingungen produziert wird, eigentlich noch essen wollen kann.
Ob eure persönliche Antwort darauf ja oder nein ist, juckt mich persönlich ehrlich gesagt nur peripher, wenn ihr aber irgendwann einmal Bock auf eine richtig gute Dystopie habt, die euch beim Lesen mitreißt, durchschleudert, wieder ausspuckt und dann am Ende, wenn ihr denkt, ihr wisst, wo der Hase lang läuft mit vollem Karacho vor eine Wand brettern lässt, dann lest dieses Buch!
Und wenn nicht, lest es trotzdem!