Jeder […] fügte sich den Schmerz der Welt in kleinen Dosen selbst zu. Und jeder suchte sich dafür den Schmerz aus, den er am besten ertragen konnte.
S. 183.
DAS.HAT.MICH.UMGEHAUEN!
Ein Debütroman, der mich völlig durchgeschüttelt, bewegt, berührt und beeindruckt hat: „Der Defekt“ von Leona Stahlmann.
Mina wächst in einem kleinen Dorf auf, in dem jeder jeden kennt. Umso schwieriger wird es für sie, als sie feststellt, dass ihre Sexualität anders funktioniert, als von der Gesellschaft erwartet und geduldet wird. Vetko, der Außenseiter, scheint sie zu verstehen und ihr geben zu können, was sie will. Aber wie lernt man, zu verstehen was man will, was man mag, wenn man mit niemandem darüber sprechen kann?
Dieser Roman ist so voll von sprachlicher Brillianz, von wunderschönen Worten und sprachlichen Bildern, dass es mir an Worten fehlt, dem Gerecht zu werden.
Leona Stahlmann ist etwa ein Jahr älter als ich, woran es liegen mag, dass ich mich in ihren Beschreibungem vom Erwachsenwerden so oft und so genau erkannt habe, dass es mich erschreckt und zu Tränen gerührt hat. Was es heißt, als Frau in einer wie sie sagt „auserzählten“ Welt groß zu werden, aber über die eigene Lust und den eigenen Körper gewisse Fragen dennoch nicht stellen darf, davon erzählt die Autorin in „Der Defekt“. Sie erzählt aber auch vom Frausein, vom Anderssein, vom Reisen, Ankommen, Heimkommen, (sich) suchen und finden, und die Art und Weise, mit der sie das tut, geht derart tief durch alle Hautschichten, dass es ständig körperliche Reaktionen bei mir hervorgerufen hat.
Das hier wird am Ende des Jahres ein Highlight sein, so viel ist sicher.
Ein begangener Fehler und eine verstrichene Zeit ergeben eine gute Geschichte, und wer seine Geschichte erzählen kann, schließt seine Verletzung. Er erzählt seine Geschichte so lang, bis der Fehler eine helle Stelle geworden ist, die nur wenige überhaupt bemerken werden. Bis man sie selbst übersieht und sie eines Tages vergessen hat, als hätte es nie eine Stelle gegeben.
S. 150
Das, was man im Innern trägt, nimmt man mit auf jede Flucht wie einen schwarzen Koffer, der einem unentwegt zwischen die Knie gerät und einen stolpern lässt und sich nachts hinter den Augen öffnet und seinen sperrigen Inhalt wie Bremskeile in den Schlaf wirft, zwischen die Träume.
S. 76.
[M]it der Liebe ist es ein bisschen wie mit dem Reisen. Eine Reise muss man erst ganz zu Ende machen, und ob sie das Geld und das Kofferschleppen und den Durchfall auf der Zugtoilette wert gewesen ist, wissen wir erst, wenn wir wieder zu Hause sind. Wir werden immer erst vom Ende der Liebe aus verstehen, was für eine Liebe es gewesen ist. Die beste Liebe ist die, die beiden das Gleiche antut. Die schlechteste die, die keinem etwas tut.
S. 169.
Heimat, das ist kein Ort auf einer Landkarte. Das ist zuerst und von Beginn an: der eigene Körper und die Sprache, die der Körper spricht , wie er geliebt und berührt und genährt werden will.
S. 266.
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