Aus der Reihe „Wie mache ich mich unbeliebt“:
Lesen Sie heute, wie ich das neue Buch eines der größten Autoren des deutschsprachigen Raums einfach nicht mochte!

Abschiedsfarben versammelt neun Erzählungen Bernhard Schlinks, die sich mit dem Abschied beschäftigen und auf sehr unterschiedliche Weise von ihm handeln.
Während ich die erste Kurzgeschichte, in der sich ein Mann von einem verstorbenen Freund verabschieden muss, den er in der Vergangenheit verraten hat, noch mochte, konnte mich keine der anderen Erzählungen halten.

Vielleicht lag es daran, dass ich Der Vorleser so sehr mochte und dadurch meine Erwartungen hoch waren, aber mir waren die Erzählungen in Abschiedsfarben teilweise einfach zu viel des Guten. Da wird ein Mann von seiner lesbisch verheirateten Ziehtochter vergewaltigt, hier geht ein Bruder, Vater und Großvater mit seiner Frau in den Freitod, nachdem seine gesamte Ahnentafel vor ihm ebenfalls Suizid begangen hat und dort erfährt ein Elfjähriger von der Urlaubsaffäre seiner Mutter und kann dafür volles Verständnis aufbringen, sammelt er doch gerade selbst erste (an der Grenze des guten Geschmacks entlang beschriebene) eigene sexuelle Erfahrungen mit einem gleichaltrigen Zwillingspaar.
Und nicht zu vergessen der über 70-jährige Mann, der sein Glück, die Liebe seines Lebens in einer Mittdreißigerin gefunden zu haben, kaum fassen kann.

In ungefähr jedem Dialog geriet ich ins Stocken und Augenverdrehen, weil sie sprachlich kilometerweit davon entfernt waren, realistisch zu sein, weil kein Mensch so reden würde. Zumindest niemand, den ich kenne. Vielleicht kenne ich zu wenig alte, weiße, heterosexuelle Cis-Männer aus dem bürgerlich intellektuellen Milieu, die das dringende Bedürfnis haben, einen Erzählband zu schreiben, der ausschließlich diese Perspektive darstellt.

Versteht mich nicht falsch: daran ist absolut nichts verwerflich oder schlecht und ich habe volles Verständnis dafür, wenn meine Meinung nicht auf Gegenliebe stößt.
Bernhard Schlink kann schreiben. Das Gegenteil zu behaupten wäre in diesem Falle absolut lächerlich und das möchte ich mit diesem Beitrag auch nicht aussagen.

Was ich sagen will:
Mich hat es gelangweilt!
Die unreflektierte und ungebrochene Geschichte von alter Mann findet Glück in lebhafter junger Traumfrau oder die alte Leier von junges Mädchen opfert die erste Liebe und das eigene Glück, um dem Bruder gerecht zu werden, in dessen Schuld sie steht, gibt mir einfach nichts. Wenn das einzige Anzeichen für Diversität in einem Buch eine vergewaltigende Lesbe ist, weiß ich halt auch nicht, wie super ich das finde.
Sorry Bernhard, aber das war jetzt nicht so mein Ding.
Immerhin hat der Diogenes Verlag ein (zweifelsohne hübsches) passendes Coverbild gefunden, das dem hetero-männlichen Blick des Inhalts gerecht wird…
Zumindest keine falschen Versprechungen und instagrammable!


So, sorry für den Rant. Ich wollte es gern mögen, aber das war nix für mich.
Habt ihr es auch gelesen? Wie habt ihr es empfunden? Habe ich vielleicht einfach den Text nicht durchschaut und Schlinks Weisheit entzieht sich mir?