Die Vergangenheit ist die Gegenwart und die Gegenwart die Vergangenheit. Die Zeit löst sich in der Dunkelheit auf. In einer Geschichte setzt sie sich wieder zusammen.

S. 193.


Hannelore Oehmichen, genannt Hatü, ist noch klein, als der Krieg beginnt und ihr Vater, ein Schauspieler, einberufen wird. Als er zurück kommt, bringt er Puppen mit, mit denen die Familie in der heimischen Küche Theaterstücke aufführt. Daraus erwächst die Augsburger Puppenkiste, ein Stück Kultur, ein Stück Kindheit von beinahe jedem und jeder von uns. Eben diese Geschichte, die von der Entstehung des wahrscheinlich bekanntesten Marionettentheaters der Welt, erzählt Thomas Hettche in Herzfaden.


Auf zwei Zeitebenen verbindet er thematisch und visuell die fantastischen Geschichten der Augsburger Puppenkiste und Michael Endes, denn wir begleiten nicht nur Hatü und die Puppenkiste sondern treffen auch ein zwälfjährigen Mädchen, das auf einem geheimnisvollen Dachboden Prinzessin Li Si, Urmel und all den anderen Figuren begegnet, die die Kindheit seit Generationen prägen.


Ein wahnsinnig anrührendes Buch, das sich einerseits wundervoll und leicht weglesen lässt und gleichzeitig so viel beinhaltet und so Tiefliegendes an die Oberfläche holt. Es ist sowohl haptisch als auch sprachlich und inhaltlich wunderschön gestaltet und der Magie, die darin steckt, kann sich wohl niemand entziehen, der im Herzen noch ein kleines bisschen Kind ist. So schließe ich mit dem fiktiven Michael Ende, der in Herzfaden sagt:

Ich wehre mich einfach dagegen, zu werden, was man einen richtigen Erwachsenen nennt. Eines jener entzauberten, banalen, aufgeklärten Krüppelwesen, das in einer entzauberten, banalen, aufgeklärten Welt sogenannter Tatsachen existiert. Wissen Sie: In jedem Menschen lebt ein Kind, ob wir neun Jahre alt sind oder neunzig. Und dieses Kind, das so verletzlich und ausgeliefert ist das leidet und nach Trost verlangt und hofft, dieses Kind in uns bedeutet bis zu unserem letzten Lebenstag unsere Zukunft.

S. 272.