Natürlich steht nirgendwo geschrieben, dass Neonazis keine Hortensien mögen. Komisch ist es trotzdem. Eine Bedrohung des lebenswichtigen Irrtums, man könne das Gute und das Böse spielend leicht auseinanderhalten.

S. 194.

Dora hat sich mitten im ersten Lockdown von ihrem Freund Robert getrennt und die gemeinsame Wohnung verlassen. Während sie die gemeinsamen Gespräche früher genoss, hat sie nämlich immer mehr das Gefühl, dass er ihre Meinung nur noch dann hören möchte, wenn sie seiner eigenen entspricht. Zum Glück hat sie zuvor heimlich ein Haus im brandenburgischen Bracken erstanden, in das sie sich nun zurückzieht. Gote, der nebenan wohnt, stellt sich ihr als „der Dorfnazi“ vor, das schwule Paar hat einen Afd-Sticker am Briefkasten und Heini von gegenüber hilft ihr zwar tatkräftig bei diversen Arbeiten, kann sich dabei aber auch rassistische und platte Stammtischwitze nicht verkneifen. Statt das Dorf aber mit wehenden Flaggen direkt wieder zu verlassen, verfällt Dora immer mal wieder in eine „Rassismusstarre“ und muss feststellen, dass Menschen mehr sind, als ihre politische Einstellung, dass es andere Meinungen gibt, als ihre eigene linksliberale-berliner-Ärztetochter-Bubble ihr suggeriert und dass diese Menschen trotzdem genau das sind: Menschen.


Ja, Stellenweise habe ich mich gefragt, ob Frau Zeh möchte, dass ich jetzt den Dorfnazi sympathisch finde und ob sie ihn entschuldigen will; ob ich jetzt wirklich denken darf, dass das ja trotzdem irgendwie ganz süß ist, wie sie da alle zusammen das Haus streichen und Würstchen grillen. Aber sie hat immer gerade so auf der Grenze balanciert, dass es noch so eben ging. Und dann kamen wieder so großartige Dinge, so aktuelle Themen, so geniale Beobachtungen menschlichen Seins, wie sie eben typisch sind, für ein Juli Zeh Buch. Wem Unterleuten zu düster und beklemmend war, es aber sonst mochte, der wird Über Menschen lieben.
Ich liebe sie beide.
Große Leseempfehlung.