Eine Gegenerzählung wäre jetzt gut. Eine, in der Frauen nicht sinnlos gemaßregelt werden, wenn sie die Anforderungen nicht erfüllen. Oder sich nicht zu benehmen wissen. Sie kann jetzt nicht das erfolgreiche Beispiel sein, an dem sich andere Frauen in dieser Lage später orientieren können. Sie muss erst heil davonkommen, ehe sie inspirieren und ein Idol sein kann. In der Zukunft werden solche Erzählungen möglich sein. Sich selbst wieder aufklauben ist eine heikle und komplizierte Aufgabe. Zeitintensiv und frustrierend.

S. 153.

Die Protagonistinnen in Jovana Reisingers „Spitzenreiterinnen“ heißen wie Frauenzeitschriften. Laura, Lisa, Tina, Jolie, Barbara, Brigitte und die anderen erzählen exemplarisch ihre Geschichten vom Frausein.

Während die eine ihrer Hochzeit entgegenfiebert, die für sie ihr größtes Lebensziel darstellt, verliert die andere wieder einmal ein Kind und damit dieses Mal auch ihren Partner. Einer trauernden Witwe läuft ein Hund zu und sie lernt nach und nach ohne ihren toten Mann zu leben. Eine Nichte erbt. Eine junge Frau verliert ihren Job. Eine neue Liebe entsteht. Eine geprügelte und misshandelte Ehefrau sucht einen Ausweg.

All diese Frauen sind mehr oder weniger miteinander verbunden – nicht nur durch ihre Frauenzeitschriftennamen, sondern auch durch ihre Geschichten, ihre Biografien, ihr Geschlecht und den gesellschaftlichen Umgang mit diesem.

Mit bitterbösem und zynischem Humor, der absolut meinen persönlichen Geschmack getroffen hat, schreibt die Autorin über die Geschichten ihrer Protagonistinnen. Sie sind reich und arm, jung und alt, glücklich und tieftraurig. Sie versuchen den ihnen auferlegten Rollenbildern zu entsprechen oder sich wenigstens mit ihnen zu arrangieren – und begehren manchmal auch gegen sie auf.

Reisinger hält das Vergrößerungsglas auf die Klischees, die davon erzählen, wie eine Frau zu sein hat, ohne die jeweiligen Frauen und deren Handlungen zu bewerten oder zu verurteilen. Angeklagt werden nicht die Frauen, sondern das System. Es sind nicht die Protagonistinnen, die „falsch“ sind, es ist das Patriarchat, das sie zu den Menschen gemacht hat, die sie sind.

Ich habe das Buch als Appell gelesen. Als Appell zur Solidarität, als Aufruf zum gegenseitigen Verständnis. Dies und der herrliche Wechsel zwischen Sarkasmus und Beklemmung, zwischen schmunzeln und ärgern, haben mir sehr gut gefallen. Ich behaupte jede Frau erkennt zahlreiche der im Buch geschilderten Situationen wieder und das tut gut.
Und jetzt los: Hand in Hand gegen das Patriarchat! Lass das mal anzünden!

Am schönsten ist es, wenn die Solidarität intersektional ist und sich der Begriff Frau nicht auf Menschen mit angeborenen Merkmalen wie Busen und Vulva beschränkt.

S. 55.