Scheiß drauf, sag ich. 24 Stunden anhaltende Wehen durch Yogaatmung zu ertragen macht dich noch lange nicht zur besseren Mutter.

S. 205.

Nimko Ali hat für „Worüber wir nicht sprechen sollen – es jetzt aber trotzdem tun“ (übersetzt von Kristin Lohmann) mit einer ganzen Reihe von Frauen gesprochen. Unterteilt in die Oberkapitel Periode, Orgasmus, Schwangerschaft und Menopause geht es in ihrem Buch um die Geschichten dieser Frauen, die so unterschiedlich sind, wie die Frauen selbst. Auf 300 Seiten wird kein Blatt vor den Mund genommen: es geht um Prostitution, sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung, Dammrisse dritten Grades und und und.

Im Prinzip liegt hier auch schon mein erster Kritikpunkt am Buch, denn durch die große Themenvielfalt erschienen mir die einzelnen Schicksale, hinter denen ja nun mal echte Menschen stehen, zu oberflächlich angeschnitten.
Natürlich ist es wichtig, über all diese Dinge zu sprechen, aber die einzelnen Anrisse dieser Themen werden meiner Meinung nach weder der Wichtigkeit der Themen selbst noch den Frauen gerecht, die hinter diesen Geschichten stehen. Da werden selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken oder Essstörungen auch mal einfach mehr oder weniger unkommentiert stehen gelassen. Für so einige der angeschnittenen Themen hätte es meines Erachtens unbedingt Triggerwarnungen, Anlaufstellen für Betroffene oder wenigstens eine Einordnung der Autorin gebraucht.

Nächster Kritikpunkt: der Untertitel des Buches lautet „Ein Manifest über den weiblichen Körper“. Ich hätte „Ein Manifest über heterosexuelle Cis-Frauen, deren Körper und wie sie im Patriarchat be- und misshandelt werden“ passender gefunden. Ich hätte dem Buch lieber 200 Seiten mehr gegeben und dafür neben der Themenvielfalt auch ein breiteres Spektrum von Frauen zu Wort kommen lassen. Zwar wird in zwei drei Nebensätzen mal die Existenz von weiblicher Homosexualität gedropped, keine der Perspektiven im Buch behandelt aber homosexuelle Lust oder eine nicht-hetero-Beziehung.

Über die Existenz von Menschen außerhalb des binären Geschlechterspektrums wird kein Wort verloren. Im Gegenteil, Nimko Ali ist der Meinung, dass es „die rituellen Übergänge [sind], die uns erst zu Frauen machen“ (S. 300), also Menstruation und Menopause und betont: „in diesem Buch geht es um Pussys“ (ebd.).


Ja nun, okay, aber dann nenne es doch bitte „Ein Buch über Pussys“, denn sorry, aber Weiblichkeit ist in meinen Augen so viel mehr als das und damit einhergehende Körperfunktionen.
Gefallen hat mir hingegen, dass viele Frauen zu Wort kommen, die nicht in Europa oder der USA leben und/oder nicht von dort stammen, dass es viele verschiedene muslimische Perspektiven gab und solche von nichtweißen und oft wenig privilegierten Personen.


Alles in allem ist das Buch leider hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben, die zugegebenermaßen hoch waren. Das heißt nicht, dass Nimko Ali nicht schreiben kann, dass das Buch schlecht ist oder dass mich nicht einige der Geschichten zutiefst bewegt hätten (spoiler: haben sie), sondern das es mehr gekonnt hätte, dass es mehr hätte sein können, dass es jede einzelne der Geschichten verdient hätte, auserzählt zu werden.


Aber vielleicht soll es genau das: Dazu anregen, alle diese unsere Geschichten zu erzählen, uns Frauen dazu bringen, Raum einzunehmen. Wenn sie dann jetzt noch diejenigen ohne Vulva miteinbezieht, können die Autorin und ich ja vielleicht doch noch Freundinnen werden.