Zum Jahresabschluss gestehe ich, dass ich nicht besonders gut darüber nachgedacht habe, als ich die True-Crime-Woche in die letzte Dezemberwoche gelegt habe.
Ich gebe zu: eigentlich würde ich euch gerade auch lieber meine Best-of-Bücher des Jahres präsentieren, aber jetzt, wo ich mir die Suppe eingebrockt habe, wird sie auch konsequent ausgelöffelt.

Das vorletzte Buch zum Thema war Hallie Rubenholds „The Five“ in der Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Höbel. Während sich das True-Crime-Genre in der Regel mit den Fällen und den dazugehörigen Tätern beschäftigt, hat Rubenhold es sich zur Aufgabe gemacht, die Opfer ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu rücken.

Der Name Jack the Ripper dürfte eigentlich jedem etwas sagen. Der Mythos vom brutalen „Prostituiertenmörder“, der 1888 ganz London in Atem hielt, hat Eingang in die Popkultur gefunden und genießt Kultstatus. Aber sagen euch auch die Namen Polly Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly etwas?
Es sind die Namen der Frauen, die von besagtem Menschen ermordet wurden. Es waren Persönlichkeiten mit einem Charakter, mit eigenen Biografien, die wir, im Gegensatz zu der des Täters, zurückverfolgen und nachvollziehen können. Diese Frauen hatten ein Leben, einen Alltag in den ärmlichen Vierteln Londons. Eben diese Leben hat Hallie Rubenhold in ihrem Buch beschrieben und heissa, was hat sie da für eine tolle Recherchearbeit betrieben! Ihr Buch saugt dich ein und schmeißt dich direkt ins London des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Sie zeigt, wie es im Grunde niemanden interessierte, wer diese Frauen wirklich waren – in den Augen der Ermittler handelte es sich um „gefallene Frauen“, die irgendwie auch eine Mitschuld trugen. Schockierend war nicht eigentlich, DASS diese Frauen ermordet wurden, sondern die Grausamkeit mit der und die kurzen Abstände in denen es geschah.

Bleibt man bei der Darstellung, dass die Opfer „einfach nur Prostituierte“ waren, ist das Ganze leichter zu verdauen – Gute Frauen, schlechte Frauen; Madonnen und Huren. (Vgl. S. 370.)

Der Kern der Geschichte von Jack the Ripper“ ist die eines Mörders mit einem tief sitzenden, fest verankerten Hass gegen Frauen, und mit unserer kulturell konditionierten Faszination für diesen Mythos tragen wir dazu bei, Mysogynie für normal zu erklären.

S. 372.

Indem Rubenhold ihnen eine Stimme gibt, können wir ihre Lebensrealität ein wenig ergründen, können ihre Menschlichkeit erkennen und ihnen jene Achtung entgegenbringen, die sie verdient haben.

Die Opfer von Jack the Ripper waren nicht ‚einfach nur Prostituierte‘, sie waren Töchter, Ehefrauen, Mütter, Schwestern und Geliebte. Sie waren Frauen. Sie waren menschliche Wesen – als wäre das nicht genug.

S. 373.

Und damit entlasse ich euch in einen hoffentlich schönen letzten Abend 2021. Ich freue mich auf den Austausch im nächsten Jahr und gelobe, all die versäumten Rückblicke im Januar nachzuholen. Rutscht gut rein, ihr Lieben und habt ein wundervolles 2022.