Denn was ist ein Vater anderes als ein Eckpunkt, der einen Raum markiert, in dem es erst zu wachsen und aus dem es dann irgendwann auszubrechen gilt, ein Problem, an dem man sich abarbeitet, ein Spiegel, in dem man sein Leben immer wieder von Neuem betrachtet und weiß, wie es nicht sein soll, eine Art Anti-Ich?

S. 163.

Kurz vorneweg: ich werde mich in dieser Rezension sämtlichen Lobeshymnen anschließen, die seit seinem Erscheinungstag am Montag auf dieses Buch gesungen wurden. Fatma Aydemirs „Dschinns“ ist für mich jetzt schon ein Highlight des Jahres. Auch ich habe es bereits am Montag beendet, aber ich musste es sacken lassen, musste noch ein bisschen mit diesem wunderbaren Text allein sein, meine Gedanken noch ein bisschen für mich behalten, um jetzt meine Liebe für Aydemirs Figuren in die Welt zu schreien.
LEST DIESES BUCH!!!

Es ist 1999. Hüseyin, der als sogenannter „Gastarbeiter“ nach Deutschland kam, ist nun in Rente und hat sich seinen Traum von einer Wohnung in Istanbul erfüllt. Als er dort letzte Hand anlegt, um die Wohnung endlich seiner Frau und seinen Kindern zu präsentieren, erleidet er einen Herzanfall und stirbt. Aus den Perspektiven seiner Kinder Ümit, Sevda, Perihan und Hakan werden nun die jeweils eigenen Biografien, aber auch die Familiengeschichte erzählt. Zu guter letzt erfahren wir auch die Geschichte von Emine, Hüseyins Frau, der Mutter seiner Kinder.

Aydemir hat einen Familien-Migrations-Coming-of-Age-Emanzipations-Gesellschaftsroman geschrieben. Es geht um Schweigen und Erzählen, um Liebe und Sehnsucht, um falsche Entscheidungen und das Privileg, entscheiden zu können. Es geht ums Leben und die Möglichkeiten, die man hat – oder auch nicht. Ich habe jede der Figuren tief in mein Herz geschlossen. „Dschinns“ ist ein Text, dem der Drahtseilakt zwischen fesselndem Plot und hervorragender Literatur gelingt. „Dschinns“ ist beides und alles dazwischen. Ich habe jeden von Aydemirs Sätzen geliebt, die nicht präziser hatten sein können und ich bin dankbar, dass dieses Buch mich mitgenommen hat, in eine Welt, die direkt neben meiner liegt und die mir trotzdem so unbekannt ist. Diese Sprache, diese Figuren, diese Geschichten – Ich liebe es!