Das Großartige an der Kodierung des Hirns […] ist wohl die Tatsache, dass es ‚Verzeihung‘ sagen kann, wenn es eigentlich ‚Verpiss dich‘ meint.

S. 14.

Die Umstände, unter denen sich Sadie und Sam als Kinder kennenlernen und dann wieder aus den Augen verlieren, sind kompliziert. Als sie sich Mitte der 90er-Jahre als Studierende wieder treffen, sind aber all die tiefen freundschaftlichen Gefühle, die sie als Kinder verbanden, wieder da. Die gemeinsame Leidenschaft für Videospiele führt sie erneut zusammen, denn Sadie ist angehende Designerin von Computergames und Sam schlägt vor, gemeinsam ein Spiel zu entwickeln. Als das Ergebnis ihrer Arbeit überraschend zum Gaming-Klassiker avanciert, scheint es, als würden der berufliche Erfolg und die daraus resultierenden Rivalitäten zur Gefahr für ihre emotionale Verbundenheit werden…

Wir alle führen höchstens ein halbes Leben […]. Da war das Leben, das man hatte und das sich aus vielen getroffenen Einzelentscheidungen zusammensetzte. Und dann gab es da noch ein anderes, das aus den verworfenen Möglichkeiten bestand. Manchmal fühlte dieses andere Leben sich genauso echt an wie das tatsächlich gelebte.

S. 204.

Ja hallo, da ist der Hypetrain an mir vorbeigefahren und als er kurz angehalten hat, bin ich wieder mal aufgesprungen. Nach all den Lobeshymnen, die hier auf Morgen, Morgen und wieder Morgen von Gabrielle Zevin gesungen wurden, konnte ich nicht wiederstehen. Hach, da kamen schon einige Erinnerungen hoch, denn das Buch strotzt nur so vor popkulturellen Referenzen (vor allem natürlich auf Games). Auch die Charakterentwicklung, die Figuren- und Beziehungskonstellationen und der Plot, den die Autorin da zu Papier gebracht hat, haben mich zweifellos in ihren Bann gezogen. Da der Roman mehrere Jahrzehnte umspannt, bekommen Leser*innen das Gefühl, die Figuren nicht nur durch all diese Jahre zu begleiten, sondern sie wahrhaftig zu kennen. Auch Zevins hervorragende Figurenzeichnung trägt dazu bei, dass man so richtig in der Geschichte versinken kann.

Wenn aus einer Geliebten eine Freundin werden soll, darf man nie aufhören, sie zu lieben. Man muss sich klarmachen, dass eine Beziehung aus Abschnitten besteht, und wenn einer endet, kann die Beziehung als etwas anderes weiterbestehen. Die Liebe ist Konstante und Variable zugleich.

S. 422.

Mein Fazit: Ich verstehe den Hype!

Sam und Sadie, aber ganz besonders ihr gemeinsamer Freund Marx haben mein Herz erobert, gebrochen, geflickt und nochmal gebrochen. Die Charaktere, ihre Geschichten, ihre Freundschaften und Lieben sind so echt und bewegend und dabei so wenig klischeehaft und verkitscht, dass es eine einzige Freude ist. Trotz aller Begeisterung waren meine Erwartungen durch all die positiven Stimmen aber wohl einfach in so unendliche Höhen geschraubt, dass es wahrscheinlich unmöglich war, sie zu erfüllen. So gern ich das Buch mochte, so sehr ich es genossen habe, es zu lesen: würde ich Sternebewertungen vergeben, würde Morgen, Morgen und wieder Morgen von mir wohl „nur“ 4,5/5 Sternen bekommen, denn es war für mich zweifelsohne ein unterhaltsamer, handwerklich hervorragend ausgeführter Roman, aber die lebens- und lesensverändernde oder -bereichernde Wirkung blieb aus.

Behalten werde ich es wahrscheinlich trotzdem, denn die Geschichte und ihre Figuren lassen mich irgendwie nicht los und ich glaube, ich möchte ihnen irgendwann noch einmal begegnen…
Absolute und uneingeschränkte Leseempfehlung.


Aus dem amerikanischen Englisch großartig übersetzt von Sonia Bonné.

‚Und was ist Liebe […] wenn nicht der irrationale Wunsch, aus dem evolutionären Wettbewerb auszusteigen und einem anderen Menschen das Leben zu erleichtern?‘

S. 496.