Einen natürlichen Tod gibt es nicht: nichts, was einem Menschen je widerfahren kann, ist natürlich, weil seine Gegenwart die Welt in Frage stellt. Alle Menschen sind sterblich : aber für jeden Menschen ist sein Tod ein Unfall und, selbst wenn er sich seiner bewußt ist und sich mit ihm abfindet, ein unverschuldeter Gewaltakt.

S. 119 f.

Das Wicl-Thema des April war Simone de Beauvoir. Nach Die Unzertrennlichen habe ich zum zweiten mal Ein sanfter Tod gelesen. De Beauvoir beschreibt hier in einem Essay die letzten Wochen ihrer Mutter, ihr Leben und Sterben und wie sie sie dabei begleitet hat. Es ist ein unfassbar eindrückliches und persönliches Werk, in dem die Autorin einmal mehr ihre hervorragende Beobachtungsgabe unter Beweis stellt. Sie zeichnet ein beeindruckend realistisches Bild von ihrer Mutter, übt harsche Kritik und ist gleichzeitig voller Liebe für die Frau, die sie geboren und ihr ganzes Leben begleitet hat – bis zu dem Tag, an dem sie starb.
Ein sanfter Tod ist eine Hommage an ihre Mutter, eine Philosophie über den Tod, eine emotionale Beobachtung des Sterbeprozesses und eine tiefgründige Beobachtung der Mutter-Tochter-Beziehung.
Ich liebe Simone de Beauvoirs Art zu schreiben und finde gerade in diesem Essay die Anklänge auf ihren Roman Alle Menschen sind sterblich und ihr bekanntestes Werk Das andere Geschlecht auffällig. Es sind diese Themen, die ihr Leben und Schreiben immer begleitet haben, alle ihre Schriften durchziehen und verbinden.

Gegen sich selbst anzudenken, kann furchtbar sein; doch bei meiner Mutter war es anders : sie hat gegen sich selbst angelebt. […] Man lehrte sie, sich einzuengen. In ihr lebte eine leidenschaftliche, glutvolle Frau : aber verunstaltet, verstümmelt und sich selbst entfremdet.

S. 46 f.

Aus dem Französischen von Paul Mayer.