Währt eine Freundschaft ewig, nur weil man sich gegenseitig Kindheit und Jugend geschenkt hat? […] Würden wir uns heute zu unseren Gefährtinnen machen?

S. 787.

Sie hat es wieder getan: die großartige Nino Haratischwili hat mich umgehauen.
In Das mangelnde Licht erzählt sie uns aus der Perspektive von Keto die Geschichte einer Freundschaft. Nene, Ira, Dina und Keto freunden sich Ende der 1980er-Jahre als Kinder in der Georgischen Hauptstadt Tbilisi an. Die Mädchen sind so unterschiedlich wie man es nur sein kann und doch sind sie durch die gemeinsame Geschichte für immer miteinander verbunden.
Nun, 2019, treffen sich drei der nun zu Frauen gewordenen Georgierinnen auf einer Ausstellungseröffnung wieder. Die ausgestellten Fotos zeigen ihre gemeinsame Geschichte. Nach und nach zeigt Haratischwili in Rückschauen wie es dazu kam, dass nur noch ein Trio zusammenfinden kann und reist durch die Geschichte von Keto und ihren Freundinnen, die auch die Geschichte ihres Heimatlandes und die so vieler Familien geworden ist…

Unsere Liebe kennt keine Freiheit und Sorglosigkeit, sie ist nicht leicht und schon gar nicht zivilisiert, sie kennt keine Unbeschwertheit und keine Jugendlichkeit, sie ist eine, die Menschen, die nicht aus dieser Welt stammen, ungesund anmutet, die sie ängstigt und verstört. Und sie haben recht damit.

S. 763 f.

Episch und poetisch wie bereits ihr Roman Das achte Leben hat mich auch Haratischwilis neuer Roman durchweg gefesselt, berührt und überzeugt. Die Geschichte ist großartig durchdacht und komponiert, die Figuren einmal mehr absolut authentisch und voller Facetten. Meiner Meinung nach wurde ein bisschen zu häufig das Mittel des Foreshadowing bemüht, hier hört es mit der Kritik dann aber auch schon auf, denn Haratischwili ist eine Meisterin ihres Handwerks. Niemand schreibt wie sie und ich bin dankbar für jeden ihrer Sätze.
Lasst euch um Gottes Willen nicht vom Umfang einiger ihrer Bücher abschrecken, denn hier ist kein Seite zu viel. Falls noch nicht geschehen: Lest Das achte Leben; und ansonsten lest Das mangelnde Licht! Gern geschehen. Danke an die @frankfurter_verlagsanstalt

In unserer Stadt waren die Mädchen flügellose Engel an dünnen Fäden, festgehalten von Müttern, Tanten, Großmüttern, die einst auch nicht hatten davonfliegen dürfen. In unserer Stadt waren die Jungen Abziehbilder ihrer Väter und Onkel und Großväter, die es auch nicht geschafft hatten, die Spiele ihrer Kindheit zu Ende zu spielen und die mit einem Ruck erwachsen, stark und bärtig werden mussten. In unserer Stadt waren Liebende wilde Tiere und alle anderen Dompteure. Am Ende ließen sich die wilden Tiere entweder zähmen oder sie wurden in Käfige gezwängt und ausgestellt, als abschreckendes Beispiel.

S. 268 f.

Sie musste unentwegt verliebt sein: In die Welt, in die Menschen, in sich selbst. Sie musste verzückt werden, berauscht, trunken sein von allem, was sie umgab, um sich lebendig zu fühlen.

S. 72.