Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, daß ich schreiben muß, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. Ich bin ganz allein […].

S. 7.

Irgendwann zu Beginn meines Studiums hatte ich eine hervorragende Idee: Ich wollte einen Roman schreiben, in dem eine Frau eines Tages erwacht und durch eine unsichtbare Wand komplett von der Außenwelt abgeschnitten ist. Mega guter Stoff. Dann war ich zufällig in einem Buchladen und da lag ein Buch mit dem Titel „Die Wand“, ich griff danach, las den Klappentext – und musste feststellen, dass Marlen Haushofer meine Idee schon Anfang der 1960er-Jahre hatte.

Die namenlose Ich-Erzählerin lebt zum Zeitpunkt des Schreibens bereits einige Jahre allein in einer Berghütte, denn eine Wand hat sie voll und ganz isoliert. Bei ihr sind nur Tiere, ein Hund, Katzen, Kühe, die sie versorgt und die ihr helfen, nicht den Verstand zu verlieren. Sie strukturiert ihren Alltag, indem sie sich an ihre Umwelt anpasst, mit den Jahreszeiten und der Natur lebt. Es ist ein anstrengender, harter Alltag, aber sie scheint nicht unglücklich in ihrer Einsamkeit zu sein.

Ich habe das Buch im Rahmen einer #wicl -Leserunde nun zum zweiten Mal gelesen. Ich weiß noch, dass es mich beim ersten Mal vor vielen Jahren unfassbar begeisterte: Die ungeschönte Innenschau in den Kopf und die Gedanken dieser Frau, die nichts zu verlieren hat, die Frau, die berichtet, dass ihre Mutterschaft sie nicht einfach nur glücklich gemacht und erfüllt hat, die abseits der Gesellschaft, ganz allein und unabhängig von Männern ein Leben lebt, überlebt und allein für dieses Überleben sorgt – das war schlichtweg neu für mich, das kannte ich nicht. Weibliche Stimmen gehörten damals noch viel zu wenig zu meinem persönlichen Kanon und ich war durch und durch begeistert.

Auch jetzt haben mir einige Textstellen ein Kribbeln im Bauch verursacht und ich konnte die Begeisterung fühlen. Die zuvor markierten Zeilen sind immernoch wundervoll und ganz speziell. Dennoch: diesmal erschien es mir, als hätte der Text unnötige Längen.

Die detaillierten Beschreibungen des Tagesablaufs und der Routinen der Protagonistin sind zwar nachvollziehbar, aber dadurch nicht unbedingt interessanter. Das umwerfende Leseerlebnis aus meinem ersten Kontakt mit dem Buch ist beim zweiten Lesen leider ausgeblieben. Ich verstehe und anerkenne aber selbstverständlich dennoch die literarische Bedeutung, die ihm zukommt. Marlen Haushofer hat mit „Die Wand“ neue Maßstäbe gesetzt und weibliche Stimmen in der Literatur sichtbarer gemacht und dafür können wir ihr dankbar sein.
Habt ihr das Buch gelesen? Wie ist eure Meinung dazu?

Durch die Wand wurde ich gezwungen, ein ganz neues Leben zu beginnen, aber was mich wirklich mich berührt, ist immer noch das gleiche wie früher: Geburt, Tod, die Jahreszeiten, Wachstum und Verfall.

S. 150.