Ob wir daran glauben oder nicht: wir alle sind wohl schon in irgendeiner Form mit Esoterik in Kontakt gekommen. Sei es das Horoskop in sogenannten „Mädchenzeitschriften“, das wir uns als Teenager*innen gegenseitig vorgelesen haben, Amulette, Anhänger, Steine oder sonstige Gegenstände, die wir als Glücksbringer bei uns tragen, das gemeinsame Gläserrücken, das man mal ausprobiert hat – so weit, so harmlos. Wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige, die aus irgendwelchen Gründen immernoch ab und zu dreimal auf Holz klopft und sich davon aus unerfindlichen Gründen positive Folgen verspricht. „[W]ie schnell aus einem vermeintlich harmlosen Hobby bitterer Ernst werden kann“ (S. 9), zeigen die Autorinnen Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrem Buch „Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“.

Das Autorinnenteam, das bereits mit den Titeln „Fake Facts“ und „True Facts“ auf sich aufmerksam machte, geht in seinem neuen Titel auf verschiedene Aspekte und Gefahren der radikalen Esoterik ein: wie physische und psychische Gesundheit angegriffen werden, die finanzielle Unabhängigkeit leidet, wie die Brücke zu rechtsextremen Gruppierungen geschlagen wird und wie ein geschlossen esoterisches Weltbild im Umgang mit gesellschaftlichen Schwierigkeiten zu maximalen Problemen führen kann. Dabei geht es den Autorinnen nicht darum, jene, die auf der Suche nach Erklärungen und Sinn an die Falschen geraten sind, zu beschämen oder victim blaming zu betreiben. Es geht darum, Aufklärungsarbeit zu leisten und darauf hinzuweisen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Wichtig vor allem im Hinblick auf Versprechungen von „alternativen“, „ganzheitlichen“ oder „sanften“ Heilmethoden – von denen ich selbst ein Riesenfan bin – bei Schnupfen, aber halt nicht bei Krebs. Ich bin selbst jemand, der gern an Dinge glauben möchte, die wir (noch) nicht verstehen, an Zusammenhänge, an Wunder. Ich WILL ein bisschen Wunder und Magie in meinem Leben und die lasse ich mir auch nicht nehmen. Ich liebe es auch, mich mit (Neo-)Paganismus zu befassen, trage Symbole der nordischen Mythologie, schreibe ihnen Bedeutung zu und bin im Besitz von Runensteinen.

Ich weiß, dass sich Thors Hammer auch in rechtsextremen Kreisen großer Beliebtheit erfreut und dass Nationalsozialisten einige Runen missbraucht und ihnen damit einen negativen Beigeschmack gegeben haben. Ich persönlich bin aber große Freundin davon, diese Dinge, die einer jahrtausendealten Kultur entstammen, nicht den Rechten zu überlassen. Ich möchte Nazis nichts, aber auch gar nichts überlassen. Lamberty und Nocun halten dazu fest:

Esoterik, New Age und Mystizismus sind nicht automatisch faschistisch oder rechtsextrem. Auch innerhalb dieser Szenen gibt es Gruppen, die sich klar nach rechts abgrenzen – manchmal sogar gegen erbitterte Widerstände aus den eigenen Reihen. Trotzdem ist es wichtig, die Verbindungslinien zu kennen. […] Gerade dann, wenn man sich in esoterischen Milieus bewegt, sollte man diese Anknüpfungspunkte kennen.

S. 231.

Genau so habe ich ihr Buch verstanden – als Versuch, Gefahren zu verdeutlichen, um ein eventuelles Abrutschen vielleicht verhindern zu können.
Meine Meinung: Magisches Denken kann hilfreich sein, Glaube kann Hoffnung schenken und heilen, aber es ist egal, ob es um Religion oder Esoterik geht: radikaler Glaube, der Tatsachen verkennt und die irdische Welt ausschließt ist immer gefährlich.


Ich habe definitiv viel gelernt. So wusste ich beispielsweise nicht, was ein Demeter-Siegel eigentlich bedeutet, wie genau Homöopathie eigentlich „funktioniert“ und mit welchen Tricks Hellseher*innen und vermeintliche Coaches arbeiten, um Kund*innen zu gewinnen.
Ich halte „Gefährlicher Glaube“ für ein wichtiges, lehrreiches Buch und bewundere die Autorinnen für ihre Recherchearbeit und den Mut, sich dem Hass derer auszusetzen, die sie (fundiert und begründet) kritisieren. Chapeau, ihr beiden!


Dennoch befürchte ich, dass das Buch durch den Titel jene, die es erreichen müsste, leider eher abschrecken wird.
Wenn ihr interessiert seid oder Menschen kennt, die auf dem schmalen Grat zwischen Glaube und Geschwurbel wandern und denen ihr gute Argumente und Hilfe an die Hand geben möchtet, solltet ihr dieses Buch unbedingt lesen!