Ob ich Kinder will, ist ein Geheimnis, das ich vor mir selbst verberge – das größte Geheimnie. Wenn man über etwas im Zweifel ist, empfiehlt es sich zu warten. Aber wie lange? Nächste Woche werde ich siebenunddreißig. Bei manchen Entscheidungen läuft einem die Zeit davon.

S. 37.

Sheila Heti weiß mit Ende dreißig nicht, ob sie Kinder will. Ihr Partner, der bereits ein Kind aus einer vorangegangenen Beziehung hat, mischt sich in die Entscheidungsfindung nicht ein. Wenn er doch mal einen Kommentar abgibt, klingt es arg, als wäre er von der Idee der Elternschaft sehr unbegeistert. Heti nutzt ihr Schreibtalent und seziert über mehrere Jahre ihre Gedanken rund um das Thema Mutterschaft. Dabei setzt sie sich nicht nur mit ihrem eigenen mal vorhandenen, mal abwesenden Kinderwunsch auseinander, sondern betrachtet auch die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter. Immer wieder kommt das Für und Wider des Kinderkriegens zur Sprache, die tief empfundene Verpflichtung Hetis ihren jüdischen Vorfahr*innen gegenüber, die Erkundung des Selbst und der eigenen Wünsche.

Frauen müssen Kinder kriegen, damit sie beschäftigt sind. Wenn ich an all die Leute denke, die das Abtreiben unter Strafe stellen möchten, kann das wohl nur eines bedeuten – nicht, dass sie diesen neuen Menschen auf der Welt haben wollen, sondern wohl eher, dass die Frau sich mit der Kinderaufzucht beschäftigt, statt etwas anderes zu tun. Eine nicht mit Kindern beschäftigte Frau hat etwas Bedrohliches. Man hat das Gefühl, sie sei irgendwie unfertig. Was wird sie stattdessen machen? Was für einen Ärger?

S. 49.

Ich war beeindruckt, wie genau die Autorin ihre eigenen Gedanken und Gefühle beobachtet und beschreibt und viele ihrer Sätze haben sich tief eingebrannt und hallen nach. Dennoch habe ich den Text irgendwann als repititiv empfunden und ich halte es für fraglich, ob es über 300 Seiten sein mussten oder ob es nicht auch etwas weniger hätte sein können. Einigen Textstellen konnte ich außerdem so gar nicht zustimmen (Wunsch nach Kinderlosigkeit als sexuelle Orientierung einzuordnen zB) und ließen mich etwas mit dem Kopf schütteln.

Die Sexszenen fand ich (wie immer) ganz furchtbar. Mein größter Kritikpunkt ist aber, dass ich, so wichtig und interessant ich das Thema finde, das ewige Hin und Her, ein bisschen Selbstmitleid hier, ein bisschen Passivität da, des Lyrischen Ichs irgendwann wirklich sehr nervig fand. Ich meine: Ja, Kinder zu bekommen oder nicht ist ein krasser Einschnitt ins Leben, man weiß eigentlich null, worauf man sich einlässt und ja, ich verstehe, dass man Angst hat, sich falsch zu entscheiden, egal, ob es auf Elternschaft hinausläuft oder nicht. That’s Life und wenn der Partner Hetis im Buch nicht so eine Pfeife wäre (ehrlich, ich fand Miles unerträglich), wäre die Entscheidung vielleicht auch nicht soooo schwer, denn ER könnte ja dann im Zweifel auch Verantwortung übernehmen und ihr Zeit und Raum zum Schreiben einräumen. Das steht aber irgendwie nie zur Debatte. Es scheint nur ganz oder gar nicht zu geben und ja nun, nein Frau Heti, mit DEM Mann würde ich nicht mal darüber nachdenken, Kinder in die Welt zu setzen. Aber gut, der wäre auch nicht lange mein Partner…


Ich will nicht unfair sein und ich will das Buch auch gar nicht verreißen. Ich fand es sogar eigentlich ziemlich gut, auch wenn das jetzt hier gar nicht danach klingt. Sprachlich fand ich es gar herausragend. Die Episoden, in denen Heti mit einem Orakel aus Steinen kommuniziert und so in einen inneren Monolog mit sich selbst tritt, haben mich begeistert. Was für ein schöner literarischer Kniff. Handwerklich habe ich kaum etwas an Hetis Text auszusetzen. Das Buch hat es geschafft, mich gleichzeitig sehr zu begeistern und total zu nerven. Es geistert immernoch durch meinen Kopf, ich greife ab und zu danach und schlage eine der vielen Eselsohrseiten auf, auf denen ich Textstellen markiert habe. Und so unsicher, wie Heti sich bezüglich des Kinderkriegens ist, bin ich es bei diesem Buch, denn ich weiß immernoch nicht, ob ich es sehr großartig oder ziemlich doof fand.


Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Überhoff.
Kennt ihr das Buch? Wie ist es euch damit gegangen? Ich bin gespannt auf eure Meinungen…