Vorab-Triggerwarnung: In dem Buch wird sexualisierte Gewalt thematisiert, wenngleich nicht explizit beschrieben.

Liv lebt mit ihrem Mann Terje und zwei Kindern in einem Haus in Oslo. Wer die Preise in Norwegen kennt, weiß, dass es ihr daher finanziell gut gehen muss. Sie arbeitet als Krankenpflegerin, geht gern und oft shoppen und auch sonst scheint ihr Leben auf den ersten Blick nahezu perfekt zu sein. Doch Liv verschweigt etwas. Vor vielen Jahren wurde sie vergewaltigt. Weder ihr Mann noch die Familie oder Freund*innen wissen davon. Sie weigert sich, sich selbst in der Opferrolle zu sehen und dem Täter auch über die Tat hinaus Macht über ihr Leben und ihren Körper einzuräumen. Dennoch lässt das Erlebte sie nicht los. Als Liv sich vorsichtig öffnet, kann sie sich von der Tat emanzipieren und die Deutungshoheit über ihre Erfahrungen und ihr Leben zurück erobern…

Niemand bleibt nach einer Vergewaltigung liegen. Niemand. Alle stehen auf. Niemand hört danach auf, Mensch zu sein. Ich dusche, schreibe Einkaufszettel, gehe einkaufen, bestelle mir Waren nach Hause, denke an alles andere als an das eine. Ich weigere mich, liegen zu bleiben.

S. 88 f.

Ich konnte immer nur wenige Seiten lesen und musste diese dann auf mich wirken lassen, denn Heidi Furre beschreibt eindrücklich, wie auch ein einmaliges Erleben sexualisierter Gewalt das Leben der Überlebenden für immer verändert und begleitet. Liv ist eine starke Figur, die uns in die tiefsten Räume ihrer Psyche mitnimmt und so werden wir Zeug*innen davon, wie sich die Machtverhältnisse in ihrem eigenen Körper, in ihren Gedanken im Verlauf des Textes verändern.

Mein ganzes Leben lang habe ich gedacht, ich sei frei und souverän. Bis ich kapierte, dass das nicht stimmt. Dass solche Dinge jedem und jederzeit passieren können. Das ist es, was mich so beschäftigt. Nicht der Vorfall an sich, sondern der Terror seiner Existenz.

S. 95.

Ein beeindruckender, einfühlsamer Text voller Tiefe, der ganz ohne explizite Gewaltdarstellungen ein Thema in den Mittelpunkt stellt, über das immernoch viel zu häufig geschwiegen wird.

Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe.
Danke an @dumontbuchverlag für das Rezensionsexemplar.