Zehn Tage nach Kriegsende lenkte meine Schwester Laura ein Auto von einer Brücke. Auf der Brücke wurde gebaut: Lauras fuhr mitten durch die Absperrung.

S. 13.

So beginnt Der blinde Mörder von Margaret Atwood, das ich mit @lisa_liest und anderen im Zuge von #wicl gelesen habe. Ja, der Roman ist gerade Mal 20 Jahre alt, aber seien wir ehrlich: Atwood hat es jetzt schon geschafft, sich in den Literaturkanon zu schreiben und gilt bereit heute als Klassikerin. Unsere bescheidene Meinung.

Erzählerin des Romans ist Iris, die als alte Frau rückblickend die Geschichte ihrer Familie vor allem der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts aufrollt. Als Kinder des Inhabers einer Knopffabrik werden sie und ihre Schwester Laura vor allem von Kindermädchen, Privatlehrer*innen und anderem Hauspersonal großgezogen. In ihren Teenagerjahren verlieben sich beide in den gleichen kommunistischen Aktivisten, verstecken ihn sogar zu Hause. Als der Knopffabrik die Pleite droht, wird Iris von ihrem Vater mit Richard Griffen verheiratet, der auch die Fabrik übernimmt.

Unterbrochen wird Iris‘ Erzählung immer wieder von Episoden aus einem Roman im Roman, der ebenfalls „Der blinde Mörder“ heißt und Laura zugeschrieben wird. Doch nur nach und nach löst Iris durch ihr Schreiben die Geheimnisse um den Suizid ihrer Schwester, die Fehltritte ihres ekelhaft unsympathischen Ehemannes und die eigene Handlungsunfähigkeit auf und am Ende scheint offen zu bleiben, wer Der blinde Mörder verfasst hat…

Der knapp 700 Seiten lange Text hat mich eingangs sofort in seinen Bann gezogen, doch dann sehr schnell wieder verloren. Atwood erzählt so ausschweifend und detailliert, dass es mitunter leider schlicht langatmig ist. Aufmerksam wurde ich immer dann, wenn die internalisierte Misogynie der weiblichen Figuren des Buches beschrieben wurde. Eindrücklich schafft es die Autorin (wie immer) von den Tücken patriarchaler Strukturen zu erzählen und sie zu entlarven. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. So bleibt mir der Text leider als einer der schwächeren Romane der Autorin in Erinnerung, auch wenn er handwerklich hervorragend konstruiert ist, hatte er einfach zu viele Längen.

Kennt ihr das Buch?