Heute kommt ein etwas persönlicherer Beitrag, denn was ich seit langem vermutet und eigentlich auch gewusst habe, ist nun durch Fachpersonal bestätigt: mein Gehirn funktioniert ein bisschen anders – ich habe ADHS und das hat immense Folgen für meinen Alltag.

Das war schon immer so, ich wusste halt nur nicht, warum ich so ticke, wie ich ticke und fühlte mich deshalb immer ein kleines bisschen falsch, aus der Zeit gefallen, auf dem falschen Planeten gelandet, nicht zugehörig. Vor allem meine Teenagerjahre würde ich daher nicht unbedingt als glücklich bezeichnen. Es ist erleichternd und befreiend, endlich zu wissen, warum ich zum Beispiel extreme Stimmungsschwankungen habe und manchmal in 0,3 Sekunden von 0 auf 180 hochfahre, was mir oft 5 Minuten später schon wieder unendlich unangenehm ist. Es ist eine Erklärung für die ständig verlorenen Portmonees, verlegten Schlüssel und zahllose impulsive (Kauf-)Entscheidungen. Es erklärt, warum mir ganz Alltägliches oft schwerer fällt, als vielen anderen Menschen, warum ich selbst Haushaltsarbeiten und meine Körperpflege als To-Do-Liste in meinem Kalender eintragen muss, warum ich nicht aufhören kann, an meiner Fingerhaut zu knibbeln, egal wie sehr ich es versuche und die fünf angefangen Romanmanuskripte, die ich geschrieben, aber nie beendet habe. Endlich weiß ich, warum ich auf fremde Menschen, Menschenansammlungen und eine laute Umgebung oft sehr, SEHR(!) sensibel reagiere und eine abgefahren niedrige Stress- und Frustrationstoleranz habe. Es ist ein bisschen wie ein fehlendes Puzzleteil, durch dessen Hinzufügen auf einmal alles irgendwie Sinn ergibt…

Kein Buch hat mir auf dem Weg von der ersten Vermutung bis zur Diagnose so sehr geholfen wie Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S von Christine Carl, Ismene Ditrich, Christa Koentges und Swantje Matthies (das es auch als Hörbuch auf Spotify gibt).

Durch das Buch habe ich mich unheimlich gesehen gefühlt, ich habe mich in den Beschreibungen der Autorinnen, die alle Expertinnen im Bereich ADHS bei Frauen sind, wiedererkannt und es hat mir geholfen zu begreifen, dass ich nicht nur nicht alleine bin, sondern, dass an mir nichts falsch ist, ich nicht dumm und kein Tollpatsch bin – und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie gut das tat. Ich gebe zu, das Vorwort wirkte auf mich zunächst etwas zu ätherisch, aber dann, dann haut der Text voll rein.


Die Autorinnen erläutern nicht nur, welche Kernsymptome ADHS ausmachen, sondern vor allem, welche Unterschiede es bei Mädchen und Frauen im Vergleich zu von ADHS betroffenen Jungen und Männern gibt. Es wird beschrieben, wie sich ADHS bei Mädchen und Frauen in verschiedenen Altersklassen äußert – vom Kindesalter, über Schulzeit, Jugend und Erwachsenenleben, bis hin zum fortgeschritteneren Alter. Das häufig resultierende negative Selbstkonzept ist ebenso Thema, wie Begleiterkrankungen und Folgeprobleme, aber auch die besonderen Ressourcen und Talente, die Frauen und Mädchen mit ADHS häufig zur Verfügung stehen sowie Strategien zur Selbsthilfe und Therapiemöglichkeiten.


Wenn ihr selbst betroffen seid, oder vermutet, es zu sein, wenn ihr Elternteil, Angehörige*r, Freund*in oder Partner*in eines Mädchens oder einer Frau mit ADHS seid, dann möchte ich euch dieses Buch wärmstens empfehlen und wirklich dringlichst ans Herz legen, denn ich glaube, dass es helfen kann zu verstehen, was in diesen, unseren Köpfen so vor sich geht, eventuell Verständnis aufzubringen, wo es bisher schwer fiel, lernen, die Ecken und Kanten zu akzeptieren und die positiven Aspekte dieser Gehirne zu feiern. Wir sind vielleicht ein bisschen anders, aber ehrlich gesagt ziemlich cool und die Welt wäre ganz sicher viel langweiliger ohne uns.