„Man verbringt sein Leben mit dem Ansammeln von Dingen, sagte sie, und dann muss man sie instand halten. Das Haus, das Auto, den eigenen Körper. Man muss auch die Kinder und die Eltern instand halten. Das erschien mir damals trauriger als heute. Ich schneide nicht gern Hecken, aber die Arbeit erdet mich. Instandhaltung ist die Steuer, die ich auf dieses Leben entrichte, denke ich.“
S. 168.
 
Was macht unser Haben mit unserem Sein?
Eula Biss versucht in ihrem Buch „Was wir haben“ Antworten zu finden, auf diese und andere Fragen.
In kurzen Essays zu den Überkapiteln Konsum, Arbeit, Investition und Rechenschaft blickt sie auf die Gegenstände, die sie besitzt und die Umstände unter denen sie sie erwerben konnte.

Mit sehr sympathischem und ebenso zynischem Humor betreibt Biss eine kluge Kapitalismuskritik, die ihresgleichen sucht. So stellt sie sich nicht nur Fragen zum Wert von Kunst in einer kapitalistischen Gesellschaft, sondern geht gleich dem Begriff „Wert“ auf den Grund. Was hat eigentlich welchen Wert für uns und weshalb?
Was ist Arbeit und wieso ist manche Arbeit wertvoller als andere, wird aber dennoch schlechter bezahlt?
Wieso waren Frauen im Mittelalter gefährlich und weshalb sind sie im Kapitalismus hilflos?
Was hat Rassismus mit Kapitalismus zu tun? Und wieso zur Hölle ist Ikea der drittgrößte Holzverbraucher der Welt?

Die zahlreichen und kurzen Texte regen zum Nachdenken an, zum Sinnieren über den eigenen Konsum, das eigene Haben und das eigene Sein.
Ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht alles verstanden habe, denn ich habe das wirtschaftliche Verständnis eines Teelöffels. Umso mehr habe ich gelernt, umso mehr hat Eula Biss mich zum Nachdenken angeregt und umso mehr freue ich mich darauf, das Buch noch einmal zu lesen – häppchenweise. Ich stelle es mir großartig vor, mir jeden Tag einen dieser durchschnittlich anderthalb Seiten langen Texte zu Gemüte zu führen und ihn dann richtig ausgiebig in meinem Kopf zu zerkauen, auseinanderzunehmen, durchzudenken und zu reflektieren.

Eula Biss ist eine tolle Schriftstellerin, die mit Sprache schöne Dinge tut. Stephanie Singh ist eine ebenso tolle Übersetzerin, die diese schönen sprachlichen Eigenheiten und Kniffe ins Deutsche zu übertragen gewusst hat. Über etwas so polarisierendes wie den Kapitalismus mit derartig viel Witz und Charme zu schreiben ohne dabei je verbittert zu wirken – das ist Kunst und das ist wertvoll. Dieses Buch ist wertvoll. Kapitalismus hin oder her.