Ich habe „Ohne Alkohol – die beste Entscheidung meines Lebens“ von Nathalie Stüben beendet und musste mich fragen, wie persönlich kann/darf/soll dieser Beitrag werden? Ein Versuch:

Als ich mir eines Tages zum 12.375. Mal schwor „Nie wieder Alkohol“ war es anders, als sonst. In meinem Freundeskreis ist das ein Insider. Regelmäßig werde ich gefragt:“Na, trinkst du wieder nie wieder Alkohol?“, so oft habe ich diese Behauptung in den Raum geworfen. Es hatte besondere Gründe, die zu schildern mir an dieser Stelle dann doch zu persönlich ist, aber dieses Mal wusste ich: Jetzt ändert sich wirklich was! Ich hab keinen Bock mehr! Ich bin es so leid, mit Kopfschmerzen und flauem Magen aufzuwachen! Ich habe es so satt, meine Wochenenden noch leicht benebelt damit zu verbringen, auszunüchtern! Ich habe die Schnauze voll davon, meine Freizeit nörgelnd zu verbringen und Zeit, die ich konstruktiv mit meinem Kind genießen könnte, rumgammelnd zu vergeuden!

Als ich dann dieses Buch in die Finger bekam und anfing es zu lesen, kam ich aus dem Nicken und Erschrocken grübeln kaum noch heraus.

Rund 12,7 Millionen Menschen [in Deutschland] betrinken sich mindestens einmal im Monat. […] Rund 6,7 Millionen trinken fast jeden Abend mehr als ein Glas.

S. 10.

Bis vor kurzem gehörte ich auch zu diesen Menschen. Ich habe trotzdem immer bestens „funktioniert“, ich habe nicht ein einziges Mal deswegen auf der Arbeit gefehlt, bin nie zu spät gekommen oder habe mein Kind vernachlässigt.

Was ich sagen will: Ich gehörte nicht zu den 1,4 Millionen Menschen in Deutschland, die sich durch ihren Alkoholkonsum nachweislich Schaden zufügen (S. 10) oder zu den 1,6 Millionen, die alkoholabhängig sind (ebd.), aber vielleicht gehöre ich zu denen, die nochmal die Kurve gekriegt haben. Das Problem besteht nämlich nicht erst, wenn es nicht mehr ohne geht. Das Problem beginnt viel früher…

Ich will sagen, dass wir unbedingt aufhören müssen, Alkohol zu verharmlosen, ja zu verherrlichen, während wir gleichzeitig jene gesellschaftlich ächten, die süchtig sind.
Alkoholismus muss raus aus der Schmuddelecke! Ein Alkoholproblem haben nicht nur die älteren, ungepflegt wirkenden Männer mit rotgeäderten, dicken Nasen, die schon morgens vorm Penny nen Kurzen kippen.

Menschen mit Alkoholproblem sind Menschen wie du und ich, Mütter, Väter, Omas und Opas, Ärzt*innen, Lehrer*innen und Supermarktverkäufer*innen.
Nathalie Stübens Buch war dabei für mich einfach ein echter Gamechanger im Hinblick auf meine Wahrnehmung der Rolle von Alkohol in der Gesellschaft. Die Autorin zeigt, wie die Alkoholindustrie und die Gesellschaft uns verkaufen wollen, dass Trinken super ist und Besoffensein fetzt und wie hoch der Preis ist, den wir alle gemeinsam jedes Jahr dafür bezahlen.

Anhand ihrer eigenen Geschichte beleuchtet die Autorin verschiedene Anzeichen, Ursachen und Folgen von Alkoholismus, beschreibt die Gründung und das Konzept der Anonymen Alkoholiker, warum ihr persönlich diese Organisation nicht helfen konnte und zeigt andere Lösungsansätze und Motivationen für ein Leben ohne Alkohol.
Ich möchte nicht erst am Boden liegen müssen, um die Notbremse ziehen zu dürfen. Ich möchte mich nicht erst irreparabel beschädigt haben, damit es für die Gesellschaft und die milliardenschwere Alkohollobby akzeptabel ist, dass ich nicht weiter trinke. Ich möchte mir weder von der Werbung, noch von einer Substanz Freiheit und Unabhängigkeit vorgaukeln lassen, während sie mich gleichzeitig einengen und abhängig machen.
„Und hier schließt sich der Kreis. Denn schlussendlich ist es egal, ob wir reingeraten sind, weil wir so geboren wurden, weil die Droge unser Hirn manipuliert hat oder weil wir es uns angewöhnt haben. Und schlussendlich ist es auch egal, ob wir trinken, weil wir Probleme hatten. Oder ob wir Probleme haben, weil wir trinken: Wenn wir aufhören, stehen wir vor einem Schlachtfeld. Dann geht es für alle Betroffenen darum, Dinge aufzuarbeiten, aufzuräumen und zu heilen.“
S. 146.

Dabei hebt Nathalie Stüben nie den pädagogischen Zeigefinger und das möchte ich auch nicht tun. Wenn ihr Spaß daran habt, ab und zu einen Drink zu genießen und das ausschließlich tut, um euch daran zu erfreuen: You Go! Have fun und gönnt euch!
Passt dabei auf euch und die Menschen, um euch herum auf! Hinterfragt (euren) Konsum, bietet helfende Hände, wo ihr glaubt, dass sie nötig sind. Wer ein offenes Ohr braucht, findet es in meinen dms. Ihr seid nicht allein.
Ich halte dieses Buch, diesen Erlebnisbericht und Ratgeber aus diversen Gründen für irre wichtig. Insbesondere, dass es Alkoholismus endlich aus einer weiblichen Perspektive beleuchtet, war eigentlich überfällig. Frauen trinken anders, als Männer und auch die vielzitierten „Trinkertypen“ lassen sich weiblichem Konsum nur bedingt überstülpen. Mein einziger Kritikpunkt sind die vereinzelten doch etwas pathetisch anmutenden Absätze, für die ich aber im Kontext auch wieder vollstes Verständnis habe. Nathalie Stüben ist mutig, weil sie einem Problem ein Gesicht gibt, weil sie eine Menge Scham und Angst überwunden hat und ein Tabu bricht, von dem wir eigentlich alle wissen. Dafür verdient sie Respekt und dafür verzeihe ich von Herzen gern das Minimum Pathos zu viel. Danke für dieses Buch! Ich höre jetzt weiter ihren Podcast Ohne Alkohol mit Nathalie und wünsche euch einen schönen Abend.
„Ich muss mich gar nicht ein Leben lang gegen etwas entscheiden, sondern für etwas. Für mich. Für das Leben, das ich führen will. Und so ist es mir mittlerweile auch schnuppe, ob ich trinken kann, oder nicht. Ich will es gar nicht mehr.“
S. 135 f.