Idee für ein Trinkspiel:
Jedes Mal, wenn in Carson McCullers Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ das N-Wort fällt oder ein antisemitisches Klischee reproduziert wird, muss man einen heben. Ich schwöre euch, nach einer halben Stunde tanzt ihr nackig auf den Tischen…

Spaß beiseite.
Seit mich Benedict Wells‘ „Vom Ende der Einsamkeit“ vor ein paar Jahren komplett begeistert hat, wollte ich McCullers‘ Roman lesen, da Wells wiederholt auf ihn referiert. Im Zuge von #wicl fiel er mir wieder in die Hände. Ich hatte ihn mir schon vor einiger Zeit angeschafft. Gemeinsam mit @knigaljub und @spandau_oli habe ich ihn gelesen und diskutiert und ich bin unheimlich zwiegespalten.

Doch worum geht es eigentlich?
Anfang des 20. Jahrhunderts „in einer häßlichen heißen Innenstadt“ (Klappentext) im Bundesstaat Georgia. Der gehörlose und stumme Singer lebt mit seinem ebenfalls taubstummen Freund Antonapoulos ein einfaches Leben mit festen Routinen, bis Antonapoulos eines Tages abgeholt wird.
Biff Brannon besitzt ein Cafè, das er auch nachts geöffnet hält, um den einsamen Seelen der Stadt eine Zuflucht zu bieten. Eines Tages stirbt seine Frau und er muss sein Leben neu ordnen.
Mick ist zwar selbst noch ein Kind, trägt aber bereits die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister. Ihre Eltern vermieten Wohnungen, um so über die Runden zu kommen, nachdem ihr Vater nach einem Unfall nicht mehr arbeiten kann, dafür aber ein bisschen zu gern Alkohol trinkt.
Jake Blount ist allein, arbeitslos und hat ein Alkoholproblem. Er schläft mal hier mal dort und versucht, sich über Wasser zu halten.
Dr. Copeland ist ein Schwarzer Arzt, der alle Hände voll zu tun hat und seine Patienten im Schwarzenviertel zu versorgen versucht. Für seine Kinder hatte er große Pläne, ist seiner Vaterrolle aber nicht wirklich gerecht geworden. Die Kinder sind keine Kinder mehr und haben nicht die vorgesehenen Wege eingeschlagen. Regelmäßig streiten sie mit ihrem Vater über dessen Ansichten zu ihrer „Rasse“. Nur seine Tochter Portia versucht immer wieder, den Familienfrieden zu wahren.

All diese Menschen stehen miteinander in Verbindung. Sie teilen ihr Leben in dieser Stadt, teilen den Ort, ihre Geschichten und ihre Einsamkeit. Nur vor dem gehörlosen Singer sprechen sie über ihre Gefühle und Gedanken; nur er scheint zuzuhören und aufmerksam für sie da zu sein.
Wannimmer die Handlung zwischenzeitlich einmal mehr etwas dahinplätschert, wird das Leser*innenbewusstsein durch einen weiteren Paukenschlag wachgerüttelt. McCullers erschafft dabei durch eine unfassbare Beobachtungsgabe absolut authentische Figuren mit Ecken und Kanten. Indem sie sie miteinander in Beziehung setzt, wirft sie gesellschaftliche und philosophische Fragen in den Raum, die sie durch ihre Sonderlinge, diese Randfiguren der Gemeinschaft, bespricht.


Der 1940 unter dem Originaltitel „The Heart Is a Lonely Hunter“ erschienene und 1950 erstmals auf Deutsch in der Übersetzung von Susanna Rademacher veröffentlichte Text meint es dabei sicherlich gut. Er diskutiert politische Ideen wie Kommunismus und Kapitalismus kritisch und rückt die Benachteiligung von Frauen, Schwarzen und Behinderten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Sprache, mit der das passiert ist jedoch heutzutage nicht nur nicht mehr zeitgemäß sondern stellenweise schlichtweg unangebracht und rassistisch. Das ist irrsinnig schade, denn ihre Figuren und ihre Geschichten sind hängen geblieben, sind zu guten Bekannten geworden, die man mal anrufen und fragen möchte, wie es ihnen seither ergangen ist, wie ihr Leben weiterging.


Vielleicht möchte sich ja ein*e Übersetzer*in oder ein Verlag diesem Text annehmen, um ihm in einer Neuausgabe ein neues Gesicht zu geben…
Kennt ihr das Buch? Wenn ja, wie habt ihr es empfunden?