Die mittleren Jahre, in denen du weder jung noch alt bist, sind verschwommene Jahre. Du kannst das Ufer nicht mehr sehen, von dem du einst gestartet bist, und jenes Ufer, auf das du zusteuerst, erkennst du noch nicht deutlich genug.

S. 7.

Die Erzählerin in Katja Oskamps Marzahn Mon Amour hängt nach einigen Enttäuschungen die Schriftstellerei vorerst an den Nagel und macht eine Umschulung zur Fußpflegerin. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitet sie dann in Berlin Marzahn in einem Salon und genau hier findet sie die Geschichten für dieses Buch, denn sie erzählt auf nur 143 Seiten die Lebensgeschichten ihrer Kund*innen, ihrer Vorgesetzten und ihrer Kollegin. Sie alle sind mitten aus dem Leben gegriffen, männlich oder weiblich und zwischen 5 und 96 Jahre alt. Sie entstammen verschiedensten Milieus, sind Geflüchtete, Hausfrauen, Witwen, Ehemänner. Sie sind Wessis und Ossis, pflegen kranke Angehörige oder werden vom Staat betreut.
Manche von ihnen haben Träume, einige haben das Träumen schon aufgegeben.
Ein paar wünschen sich Nagellack, manche sogar mit Glitzer, andere haben starke Schmerzen, würden aber niemals darüber jammern.

Katja Oskamp erzählt all diese Menschenleben extrem dicht und auf wenig Platz. Dennoch erscheint es niemals, als würde sie etwas weglassen. Sie schafft es auf beeindruckende Weise, mir als Leserin das Gefühl zu vermitteln, dass ich nun all diese Figuren persönlich kenne, dass ich selbst Kundin in diesem Ladengeschäft, in diesem Viertel war, dass ich bereits die spielenden Hunde auf der Wiese beobachtet und mit der Erzählerin bei einer Zigarette und einem Plausch vor dem Ladeneingang gestanden und Frau Frenzel gegrüßt habe.

Diese Geschichten erzählen von vergessenen Existenzen, von Menschen deren Geschichten keine Romane füllen, über die niemand einen Film oder eine Serie dreht, die aber da sind, die wichtig sind, die gehört und gesehen werden möchten. Die Autorin macht sie sichtbar und erzählt straight und gerade heraus, ungeschönt und dennoch wunderschön davon, wie das Leben manchmal spielt, wie es ist, abseits von Happy Ends und Instagram und dass es sich meistens nicht an die Pläne hält,die wir so schmieden.

Absolute Leseempfehlung